
9. Juni 2024
Zehnter Sonntag
im Jahreskreis
Lesejahr B
Sich mit dem Bild Jesu zu befassen, bedeutet, seine zerstörerische Kraft des Bruchs mit der Gesellschaft seiner Zeit zu erkennen. Und aller Zeiten.
Wer war Jesus von Nazareth? Zu Beginn seines öffentlichen Wirkens war dieser ungewöhnliche Rabbi aus Galiläa dank seiner Predigten und der Zeichen, die er an Kranken und Sündern tat, ein großer Erfolg (vgl. Mk 1,21-45). Während die Menge begeistert ist, scheinen zwei Gruppen etwas ratlos und besorgt zu sein: die Familienmitglieder und die Schriftgelehrten. Beide lassen sich nicht von ihm anziehen: Ersteren geht es nur um die Wahrung des guten Rufs der Familie, während letztere immer auf der Suche nach möglichen Gesetzesübertretungen sind, um dann die Falschheit seines messianischen Anspruchs zu rechtfertigen. Die Verwandten sind daher verlegen, während die Schriftgelehrten und Pharisäer befürchten, dass die Menge unter dem Einfluss seines Charismas die traditionellen Lehren aufgeben wird. Kurz gesagt, Jesus ist eine Schande (für die Familie) und ein Umstürzler (für die religiöse Tradition). Deshalb muss er aufgehalten werden. Aber wie? „Er ist von Sinnen“ (exístemi), sagen die Angehörigen (vgl. Mk 3,21). Exístemi drückt den Zustand des Staunens, der Trance oder des Wahnsinns aus. Markus verwendet diesen Ausdruck auch, um das Erstaunen der beiden Eltern zu beschreiben, als sie ihre Tochter auferstehen sehen (vgl. Mk 5,42), sowie das der Jünger, als sie Zeuge des Wunders Jesu auf dem Wasser werden (vgl. Mk 6,51). Dass Jesus ein Original war, wird in den Evangelien nicht verschwiegen. Denken wir an seinen Bruch mit dem sozialen Umfeld und der Familie; denken wir auch an den Aufruf an die ersten Jünger, die buchstäblich aus ihren beruflichen, elterlichen und affektiven Bindungen gerissen werden; an die Aufforderung, sich nicht um das Begräbnis des eigenen Vaters zu kümmern (was einen Verstoß gegen das vierte Gebot darstellt), bis hin zur Vorhersage eines „Krieges“ innerhalb der Familien wegen ihm und dem Evangelium (vgl. Mk 13,12). Jesus stellt sich auch als ein Mann ohne Land dar, als ein Visionär, der nicht über die Mittel verfügt, um zu leben, und der, von einigen Ausnahmen abgesehen, nur von denjenigen anerkannt wird, die am Rande der Gesellschaft stehen (Prostituierte, Kranke, Aussätzige, …). Aber was noch schwerer wiegt, und das gilt insbesondere für das religiöse Establishment, ist, dass der Lehrer von Nazareth den Satan nicht bekämpft, indem er die Menschheit durch die Einhaltung der Tora und der Propheten auf den Weg des Guten führt, sondern sich selbst auf die gleiche Ebene stellt, und zwar mit seinen eigenen Waffen. Wenn er dann versucht, sein Handeln zu erklären (vgl. Mk 3,22-27), scheint er den Verdacht eher zu bestätigen als zu klären. In seiner Rede stellt er einen Kampf zwischen zwei Kräften dar, von denen die eine der anderen insofern überlegen sein wird, als sie „die Starken“ bindet. Es stimmt, dass er damit den absurden Vorwurf ausräumt, er treibe die Dämonen durch den Fürsten der Dämonen aus, aber was treibt ihn an? Ist es ein reiner Geist, der ihn antreibt, oder eine Macht der Verführung? Jesus wird sagen, dass derjenige, der den Geist nicht hat, ihn nicht erkennen kann, sodass er ihn mit seinem Gegenteil, mit Satan, verwechselt. Das ist die Sünde, die nicht vergeben werden kann (vgl. Mk 3,29). Das Urteil des Meisters trifft jedoch nicht nur die religiösen Klassen oder die Familie, sondern auch die Menge (die nur Heilung und Brot sucht) und die Jünger (die an ihren messianischen Träumen hängen). Der Ausgang seiner Geschichte (Tod am Kreuz) scheint den Vorwurf des Wahnsinns und der Hochstapelei zu rechtfertigen. Man denke an die Szenen des Spottes unter dem Kreuz, an das Gefühl der Ohnmacht und der Niederlage, das diese dramatischen Stunden durchdringt, an die völlige Fassungslosigkeit der Gläubigen. Erst nach Ostern werden die Jünger – mit Hilfe des Heiligen Geistes – beginnen, seine Gestalt neu zu verstehen. Als bildlichen Kommentar zum Evangelium dieses Sonntags verweisen wir auf ein Gemälde von Fernando Botero (1932-2023), auf dem wir Christus sehen, wie er gegen den Strom inmitten von Menschen geht, die vor Wut und Verachtung beben.
Kommentar von d. Sandro Carotta, osb
Abbazia di Praglia (Italien)
Übersetzung von fr. Daniel Tibi,
Abtei Kornelimünster