11. Februar 2024

Sechster Sonntag
im Jahreskreis

Jahr B

Wir interpretieren die Barmherzigkeit im Sinne des Franz von Assisi, für den der Mensch das Ab-bild Christi ist.

„UND ICH HABE IHNEN BARMHERZIGKEIT GESCHENKT“

Das heutige Evangelium betrachten wir im Spielgel des hl. Franz von Assisi. Der christliche Weg des hl. Franziskus führt über die Annahme seines aussätzigen Bruders, in dem der auferstandene Herr lebendig und gegenwärtig ist, auch wenn er von einem Mantel demütigender Zerbrechlichkeit bedeckt ist. Solange aber das Äußere für Franziskus entscheidend blieb (der Aussätzige war in sei-nen Augen etwas Unerträgliches und Schreckliches), war er nicht in der Lage, den großen Schritt zu tun, den Menschen dort zu finden, wo er wirklich ist: in Christus. Dieses Drama löste Franziskus zunächst durch die Flucht, aber später, auch getreu seinem ritterlichen Ideal, stieg er von seinem Platz (von seinem Pferd) ab und umarmte den Aussätzigen und küsste ihm sogar die Hand. Der Grund liegt auf der Hand: In den Wunden des Aussätzigen erkannte er die Stigmata des Gekreuzig-ten. Der Aussätzige erwiderte den Kuss des Franziskus mit einem Kuss des Friedens. Wenn er an diese Begegnung zurückdenkt, schreibt der Heilige in seinem Testament: „Der Herr gab mir, Bruder Franziskus, den Auftrag, auf diese Weise Buße zu tun: Als ich in Sünde war, schien es mir zu bitter, Aussätzige zu sehen; und der Herr selbst führte mich unter sie, und ich übte Barmherzigkeit. Und als ich mich von ihnen abwandte, verwandelte sich das, was mir bitter erschien, in Süße des Geistes und des Körpers“. Für Franziskus ist der Mensch das Ebenbild Christi, der zur Ähnlichkeit neigt. Natürlich ist das Bild oft unerkennbar, aber Annahme und Liebe können seinen Glanz wieder aufle-ben lassen. Die Gefahr besteht immer darin, das Böse mit der Person selbst zu identifizieren. Dadurch wird jedoch seine Wiedergeburt nicht möglich, sondern sein Ende von vornherein festge-schrieben. Als bildliche Ikone, die das Evangelium kommentiert, gehen wir in die Bardi-Kapelle in Santa Croce (Florenz, Itlaien), wo wir eine kleine Tafel mit einem Franziskus unter den Aussätzigen finden. Franziskus ist so mütterlich gegenüber seinen kranken und ausgegrenzten Brüdern, dass er einen von ihnen auf die Knie nimmt und einem anderen – dem Beispiel des Meisters folgend – die Füße wäscht.

Kommentar von d. Sandro Carotta, osb
Abbazia di Praglia (Italien)

Übersetzung von fr. Daniel Tibi, 
Abtei Kornelimünster

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