
28. Januar 2024
Vierter Sonntag
im Jahreskreis
Jahr B
Der prophetische Charakter der Christen macht sie in dieser Welt zu Fremden und Pilgern, denn sie sind auf dem Weg zum Reich Gottes.
JESUS, DER PROPHET
Markus stellt fest, dass Jesus mit Vollmacht lehrte (vgl. Mk 1,22). Der griechische Begriff lautet exusia, was wörtlich „aus dem Sein“ bedeutet. Jesus heilt, befreit vom Bösen, ausgehend vom Sein, von seinem Sein und dem Sein im Vater. Seine Worte und Taten stimmen also mit seinem tiefen Wesen überein. Der Charakterzug, den wir auf dieser Seite des Evangeliums hervorheben wollen, ist jedoch die Prophetie. Jesus ist ein mächtiger Prophet in Worten (er verkündet das Evangelium Gottes) und Taten (Heilungen, Wunder und Wundertaten). Er ist auch ein geheimnisvoller Prophet, wie Markus gut erzählt, indem er mehrmals das so genannte „messianische Geheimnis“ hervorhebt (Jesus wollte seine messianische Natur nicht offenbaren). Aber wer ist der Prophet und was ist sei-ne Aufgabe? Im Alten Testament finden wir gleich drei Bezeichnungen: nabi‘, d. h. „berufen“, hozeh („Seher“) und ro’eh („Seher“). In den beiden letztgenannten Fällen liegt der Schwerpunkt eher auf der transzendenten Vision des Propheten, der Gottes Plan offenbart. Interessanterweise enthält das griechische Wort profètes das Verb femi („sprechen“) und die Präposition pro, die „an-stelle von“ und „vor“ bedeuten kann. Der Prophet spricht also nicht in seinem eigenen Namen, sondern im Namen Gottes und hilft den Menschen seiner Zeit, die Geschichte mit ihren verschlun-genen Wegen, aber auch ihren Hoffnungen zu verstehen. Der Prophet zeigt also allen („vorher“) den tieferen Sinn von Ereignissen und Tatsachen. Sein Werk besteht darin, den Sinn des Lebens unter der Hülle des menschlichen Handelns zu entschlüsseln. Wir möchten an dieser Stelle daran erinnern, dass der Christ auch zur Ausübung der Prophetie berufen ist (vgl. Presbyterorum Ordinis Nr. 2). Dieser prophetische Charakter macht die Christen zu Fremden und Pilgern in dieser Welt, d. h. auf dem Weg zum Reich Gottes. Diese eschatologische Spannung ist keine Menschenverach-tung, sondern ihre Deutung aus der Erfüllung heraus. Ein prophetischer Jesus ist in einem Gemälde von James Tissot gut dargestellt: Jesus, der die Schrift in einer Synagoge ausbreitet (1886-1894), wo der Meister zum Erstaunen der Schriftgelehrten und Pharisäer die Heilige Schrift autoritativ auslegt. Aus dem Wort Gottes die Fähigkeit, die Geschichte als Heilsgeschichte prophetisch zu er-kennen.
Kommentar von d. Sandro Carotta, osb
Abbazia di Praglia (Italien)
Übersetzung von fr. Daniel Tibi,
Abtei Kornelimünster